Vorbemerkung
Im Jahr 1843 schiffte ich mich als ‚einfacher Matrose‘ auf einer Fregatte der Vereinigten Staaten ein, die seinerzeit in einem Hafen des Pazifischen Ozeans lag. Nach über einem Jahr Aufenthalt auf dieser Fregatte wurde ich bei der Heimkehr des Schiffs ausgemustert. Der vorliegende Band enthält meine Erfahrungen und Beobachtungen auf dem Kriegsschiff.
Inhalt | |
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I. | Ein Salzfleisch-Club auf einem Kriegsschiff, mit dem Hinweis zu verschwinden |
II | Heimwärts |
III | Überblick über die hauptsächlichen Abteilungen, in welche die Besatzung eines Kriegsschiffs sich gliedert |
IV | Jack Chase |
V | Jack Chase auf einem spanischen Achterdeck |
VI | Die Offiziere des Achterdecks: Offiziere, Warrant Officers und die Befehlsempfänger des Zwischendecks eines Kriegsschiffs – wo sie auf dem Schiff leben; wie sie leben; ihre gesellschaftliche Stellung an Bord und welcher Art Gentlemen sie angehören |
VII | Frühstück, Mittag- und Abendessen |
VIII | Selvagee und Mad Jack – eine Gegenüberstellung |
IX | Von den Taschen in der Jacke |
X | Von Taschen zu Taschendieben |
XI | Versuche, unter schwierigen Verhältnissen zu dichten |
XII | Gut- oder Schlechtgelauntheit der Kriegsschiffs-Männer, die großenteils auf ihre jeweiligen Posten und Aufgaben an Bord zurückzuführen sind |
XIII | Kriegsschiffs-Eremit in einer Meute |
XIV | Dürre auf einem Kriegsschiff |
XV | Ein Salzfleisch-Club auf einem Kriegsschiff, mit dem Hinweis zu verschwinden |
XVI | Allgemeine Übung auf einem Kriegsschiff |
XVII | Los! Zweiter, Dritter und Vierter Kutter! Los! |
XVIII | Ein Kriegsschiff, gefüllt wie eine Nuß |
XIX | Die Jacke im Mast |
XX | Wie man auf einem Kriegsschiff schläft |
XXI | Ein Grund, warum das Leben der Männer auf einem Kriegsschiff allgemein kurz ist |
XXII | Waschtag und Hausputz auf einem Kriegsschiff |
XXIII | Theater auf einem Kriegsschiff |
XXIV | Einführung zu Kap Hoorn |
XXV | Hundstage vor Kap Hoorn |
XXVI | Auf Höhe des Kaps |
XXVII | Einige Gedanken, die daraus erwachsen, daß Mad Jack sich den Befehlen seiner Vorgesetzten widersetzt |
XXVIII | Fort auf leisen Sohlen |
XXIX | Die Nachtwachen |
XXX | Blick durch eine Pforte in die unterirdischen Gefilde 137 eines Kriegsschiffs |
XXXI | Der Konstabel unter Deck |
XXXII | Eine dunderfunk-Mahlzeit |
XXXIII | Prügelstrafe |
XXXIV | Einige schädliche Folgen der Prügelstrafe |
XXXV | Prügelstrafe nicht rechtmäßig |
XXXVI | Prügelstrafe unnötig |
XXXVII | Etwas vom guten alten ‚London Dock‘ aus Neptuns Weinkühlern |
XXXVIII | Der Kaplan und die Kapelle auf einem Kriegsschiff |
XXXIX | Die Fregatte im Hafen – Die Boote – Großer Empfang des Kommodore |
XL | Einige unnötige und verletztende Zeremonien auf einem Kriegsschiff |
XLI | Die Kriegsschiffs-Bibliothek |
XLII | Auf einem Kriegsschiff im Hafen die Zeit totschlagen |
XLIII | Schmuggeln auf einem Kriegsschiff |
XLIV | Ein Schurke mit Amt auf einem Kriegsschiff |
XLV | Auf einem Kriegsschiff Gedichte veröffentlichen |
XLVI | Der Kommodore auf der Kampanje und einer vom ‚Volk‘ unter den Händen des Schiffsarztes |
XLVII | Auktion auf einem Kriegsschiff |
XLVIII | Zahlmeister, Zahlmeister-Steward und Postmeister auf einem Kriegsschiff |
XLIX | Kriegsgerüchte und wie sie von der Bevölkerung der Neversink aufgenommen wurden |
L | Die Bucht aller Schönheiten |
LI | Einer vom ,Volk‘ hat eine Audienz bei Kommodore und Kapitän auf dem Achterdeck |
LII | Etwas Kadetten Betreffendes |
LIII | Fahrensleute, die besonders unter dem Wetter leiden – die Wirkung davon auf den Kriegsschiffskapitän |
LIV | ,Das Volk‘ bekommt Landgang |
LV | Kadetten, die früh in die Marine eintreten |
LVI | Ein Kaiser von Land an Bord eines Kriegsschiffs |
LVII | Der Kaiser besichtigt das Volk in den Quartieren |
LVIII | Ein Achterdeck-Offizier vor dem Mast |
LIX | Ein Kriegsschiffs-Knopf entzweit zwei Brüder |
LX | Ein Schuß auf einen Kriegsschiffsmann |
LXI | Der Flottenarzt |
LXII | Konsultation der Kriegsschiffsärzte |
LXIII | Die Operation |
LXIV | Kriegsschiffs-Trophäen |
LXV | Ein Rennen unter Kriegsschiffen |
LXVI | Vergnügung auf einem Kriegsschiff |
LXVII | White-Jacket wird vor den Mast zitiert |
LXVIII | Ein Kriegsschiffs-Brunnen und andere Dinge |
LXIX | Gebete bei den Kanonen |
LXX | Monatliche Musterung ums Spill |
LXXI | Die Genealogie der Articles of War |
LXXII | „Enthält die guten Verordnungen der See, die kluge Männer, welche um die Welt reisten, unseren Ahnen gaben und die Bücher des Wissens guter Gebräuche ausmachen.“ |
LXXIII | Tag und Nacht Glücksspiel auf einem Kriegsschiff |
LXXIV | Der Großmars bei Nacht |
LXXV | „Versenken, Verbrennen, Vernichten“ |
LXXVI | Die Rüsten |
LXXVII | Das Lazarett auf einem Kriegsschiff |
LXXVIII | Elende Zeiten in der Messe |
LXXIX | Wie viele Kriegsschiffs-Männer auf See sterben |
LXXX | Der letzte Stich |
LXXXI | Wie sie einen Kriegsschiffs-Mann auf See bestatten |
LXXXII | Was von einem Kriegsschiffs-Mann nach seiner Seebestattung bleibt |
LXXXIII | Ein Kriegsschiffs-College |
LXXXIV | Kriegsschiffs-Barbiere |
LXXXV | Das große Massaker der Bärte |
LXXXVI | Die Aufrührer werden vor den Mast geführt |
LXXXVII | Old Ushant bei der Gangway |
LXXXVIII | Flogging Through the Fleet |
LXXXIX | Der gesellschaftliche Stand auf einem Kriegsschiff |
XC | Die Bemannung der Marine |
XCI | Raucher-Club auf einem Kriegsschiff, mit Szenen auf dem Batteriedeck, während die Heimat naht |
XCII | Das Ende der Jacke |
XCIII | Kabel und Anker klar |
Ende | |
Anmerkungen |
Kapitel I
Die Jacke
Es war keine sehr weiße Jacke, doch gewiß weiß genug, soweit man das sagen kann, wie alles Folgende zeigt.
Als unsere Fregatte in Callao an der Küste Perus – ihrem letzten Hafen im Pazifik – lag, fand ich mich ohne Gregoi oder Seemanns-Surtout. Und weil gegen Ende einer dreijährigen Reise vom Zahlmeister-Steward keine Pijäcker zu bekommen waren, und für uns unterwegs nach Kap Hoorn bestimmt irgendein Ersatz unverzichtbar sein sollte, machte ich mich mehrere Tage daran, ein eigenwilliges, von mir selbst entworfenes Kleidungsstück anzufertigen, um mich gegen das stürmische Wetter zu schützen, dem wir bald ausgesetzt sein würden.
Es war nicht mehr als ein weißer Rock aus Tuch, mehr ein Hemd, das ich, auf Deck ausgebreitet, über der Brust übereinander faltete und, indem ich den Schlitz von dort weiterführte, der Länge nach öffnete – ungefähr so, wie man ein Blatt des letzten neuen Romans auftrennt. Der Schnitt gemacht, vollzog sich eine Verwandlung, die alle Metamorphosen Ovids übertraf. Denn schwupps: Das Hemd war nun eine Jacke! – allerdings ein seltsam aussehender Mantel, ausladend um den Schoß, wie der eines Quakers, mit einem schlaffen Kragen und einer plumpen Fülle um die Manschetten – und weiß, ja, weiß wie ein Totenhemd. Und als mein Totenhemd sollte es sich später mehr oder weniger herausstellen, wie der Leser im Weiteren feststellen wird.
Aber vergib mir, mein Freund, welch eine Sommerjacke ist das, in der man Kap Hoorn übersteht? Sehr geschmackvolles und schönes weißes Leinen hätte es sein können; andererseits tragen die Leute ihr Leinen im allgemeinen auf der Haut.
Wie wahr, und dieser Gedanke beschlich mich sehr früh, denn ich hatte nicht vor, in meinem Hemd Kap Hoorn zu umsegeln, denn das hätte tatsächlich bedeutet, fast nackt und bloß unterwegs zu sein.
Also benähte und besteppte ich das Innere meiner Jacke mit allerlei Flicken – alten Socken, alten Hosenbeinen und dergleichen – bis sie ganz und gar steif und ausgestopft war, wie King James’ baumwollgefüttertes, dolchfestes Wams, und weder Steifleinen noch stählernes Kettenhemd boten mehr Widerstand.
So weit, so gut. Aber nun sagt mir, White-Jacket, wie stellt Ihr es Euch vor, Regen und Nässe in diesem Eurem gepolsterten Grego abzuhalten? Ihr wollt dieses Bündel alter Flicken nicht als Regenmantel bezeichnen, oder? – Ihr wollt doch keinem weismachen, dies Wollzeug wäre wasserdicht?
Nein, das war das Verflixte, mein lieber Freund. Wasserdicht war sie nicht, so wenig, wie ein Schwamm. Im Gegenteil hatte ich meine Jacke mit solch einer Sorglosigkeit wattiert, daß ich in einem Regenguß zu einem allumfassenden Aufnehmer wurde, der das Schanzkleid, gegen das ich mich lehnte, knochentrocken wischte. An feuchten Tagen drängten sich meine herzlosen Kameraden sogar an mich, so mächtig war die kapillare Anziehungskraft zwischen meiner unglückseligen Jacke und jedem Tropfen Feuchtigkeit. Ich tropfte wie ein Truthahn über dem Rost, und lange nachdem der Regenschauer vorüber war und die Sonne sich wieder zeigte, stelzte ich als schottischer Nebel einher, und war das Wetter der anderen schön, ach, war das meine schlecht.
Ich? Ja ich! Durchnäßt und schwer – was für eine Last war es, diese Jacke umher zu tragen, besonders, wenn ich in den Mast geschickt wurde und mich hinaufschleppte, Schritt um Schritt, als lichtete ich den Anker. Kaum Zeit, sich ihr zu entledigen und sie im Regen auszuwringen, wenn man weder zurückbleiben noch sich verspäten durfte. Nichts da, hinauf jetzt, ob dick oder dünn, Lambert oder Edson, egal, wieviel avoir dupois du wiegst. Und so stiegen, den Naturgesetzen folgend, viele Regenschauer mit mir zurück hinauf in den Himmel.
Aber hier sei gesagt, daß ich bei der Durchführung meines ursprünglichen Plans diese Jacke betreffend eine furchtbare Enttäuschung erlitt. Meine Absicht war es, sie mit einer Schicht Farbe absolut undurchlässig zu machen. Indes ist das Schicksal uns Unglücklichen stets voraus: So viel Farbe war von den Matrosen gestohlen worden, um ihre überholten Hosen und Persennige einzuschmieren, daß in dem Augenblick, als ich – ein ehrlicher Mann – mein Steppzeug fertig hatte, die Farbtöpfe tabu und hinter Schloß und Riegel waren.
Meinte Old Brush, der Captain der Farbenkammer – „Paßt auf, White-Jacket,“ sagte er, „Ihr bekommt keine Farbe.“
So war also meine Jacke – gut geflickt, gefüttert und durchlässig und in dunkler Nacht strahlend weiß wie die White Lady of Avenel!
Kapitel II
Heimwärts
„Auf überall! Auf Anker! Männer ans Spill!“
„Volltreffer! Kameraden, es geht nach Hause!“
Nach Hause! – Musik in den Ohren! Wart Ihr jemals auf Heimfahrt? Nein? Rasch! Ergreift die morgendlichen Schwingen oder die Segel eines Schiffs und begebt Euch ans äußerste Ende der Welt. Verweilt dort ein Jahr oder zwei, und laßt dann den ruppigsten unter den Bootsmännern mit Lungen ganz Gänsehaut diese magischen Worte ausrufen, und Ihr werdet schwören, „Orpheus’ Harfe war nicht berückender“.
Alles war bereit, die Boote eingesetzt, das Leesegelgut eingeschoren, die Kabelaring gesteckt, die Spillspaken an ihren Platz, das Fallreep unten, und in glänzender Laune setzten wir uns zum Mittagessen. In der Offiziersmesse reichten die Leutnants ihren ältesten Portwein herum und tranken auf ihre Freunde; im Zwischendeck waren die middiesiv eifrig dabei, Darlehen aufzunehmen, um die Schulden bei ihrer Waschfrau zu begleichen und sich im übrigen – wie man in der Marine sagt – darauf einzustellen, die Gläubiger mit einer fliegenden Vormars zu bezahlen. Auf der Kampanje schaute der Kapitän nach luvwärts, und in seiner luxuriösen, unzugänglichen Kajüte saß der hochherrschaftliche Kommodore, schweigsam und würdevoll, wie die Statue Jupiters in Dodonavi.
Wir trugen alle unser bestes und prächtigstes Zeug; wie Streifen blauen Himmels lagen die tiefblauen Kragen unserer Röcke auf unseren Schultern, und unsere Pumps waren so elastisch und ausgelassen, daß wir während des Essens auf und ab tanzten.
Auf dem Batteriedeck hatte man für unser Dinner gedeckt, inmitten der Kanonen, und während wir dort im Schneidersitz hockten, hätte man gedacht, in der Nachbarschaft befänden sich hundert Höfe und Weiden, solch ein Geschnatter der Enten und Gänse und Gackern der Hühner, solch ein Brüllen der Ochsen, Blöken der Lämmer, hier und dort an Deck eingepfercht als Verpflegung der Offiziere auf See. Die Geräusche waren eher ländlich und erinnerten einer jeden Mutter Sohn an das alte Elternhaus in den alten grünen Gefilden, an die alten hängenden Ulmen, den Hügel, auf dem wir herumgetollt waren und das Ufer hinter dem Roggen beim Bach, in dem wir badeten.
„Überall! Überall! Auf Anker!“
Als der Befehl erging, wie sprangen wir an die Spaken und holten ums Spill herum, jeder Mann ein Goliath, jede Sehne eine Trosse! – um und um – rundherum kreiste es, wie eine Kugel, unsere Füße im Gleichtakt mit dem Pfeifer, bis das Ankertau recht auf und nieder stand und das Schiff mit der Nase im Wasser.
„Holt und Pall! Heraus die Spaken und Setzt die Segel!“
So geschah es: Spakengasten, Stoppergasten, tierersvii, veerers, Freiwächter und die Übrigen kraxelten die Leiter hinauf zu den Brassen und Fallen, wie Affen in den Palmen, die Segellöser eilten hinaus auf die weiten Zweige, unsere Rahen, und herab fielen die Segel wie weiße Wolken aus dem Äther – Marssegel, Bramsegel und Royals, und wir liefen los mit den Fallen, bis jedes Tuch ausgebreitet war.
„Nochmal an die Spaken!“
„Holt, ihr Leute, holt hart!“
Mit einem Sprung und einem Ruck brachen wir aus, und herauf zum Bug kamen einige tausend Pfund Alteisen in Gestalt unseres gewichtigen Ankers.
Wo befand sich da White-Jacket?
White-Jacket war, wo er hingehörte. White-Jacket war es, der das Großroyal losmachte, so weit hoch oben, daß es wie der weiße Flügel eines Albatros erschien. White-Jacket selbst hielt man für einen Albatros, wie er hinausflog zur schwindelnden Rahnock!
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