Stephen Crane: Das offene Boot
Eine auf Tatsachen beruhende Geschichte der Erfahrung von vier Männern des gesunkenen Dampfers Commodore.
I
Mit der Himmelsfarbe kannte sich keiner aus. Ihre Augen schweiften über den Horizont und fixierten die Wellen, die auf sie zu fegten. Diese Wolken hatten die Tönung von Schiefer, außer ihre Kämme, die waren schäumend weiß. Und die Männer kannten alle die Farben der See. Der Horizont wurde schmaler, breiter; er senkte, er hob sich; stets war sein Rand zerklüftet von Wellen, die spitz aufragten wie Klippen. So mancher Mann dürfte eine größere Badewanne haben, als das Boot, in dem er aufs Meer hinausfuhr. Diese Wellen waren äußerst ungerecht und grausam schroff und hoch, und jeder Schaumkamm stellte bei der Navigation kleiner Boote ein Problem dar.
Der Koch hockte im Boden und schaute mit beiden Augen auf die sechs Zoll Dollbord, die ihn vom Ozean schieden. Er hatte die Ärmel über seine fetten Unterarme aufgerollt, die beiden Flappen seiner offenen Weste baumelten, während er sich bückte, um das Wasser aus dem Boot zu ösen. Oft sagte er „Gott! Das war knapp.“ Er bemerkte dies und blickte dabei unentwegt nach Osten über die aufgewühlte See.
Der Öler, der das Boot mit einem der beiden vorhandenen Riemen steuerte, erhob sich bisweilen, um dem Wasser auszuweichen, das übers Heck hereinwirbelte. Es war ein dünner kleiner Riemen; er drohte immer wieder zu brechen.
Der Korrespondent, der den anderen Riemen pullte, betrachtete die Wellen und fragte sich, warum er hier war.
Der verletzte Kapitän, der im Bug lag, vergrub sich zu diesem Zeitpunkt in jener tiefen Niedergeschlagenheit und Teilnahmslosigkeit, die einmal wenigstens selbst den Tapfersten und Ausdauerndsten ereilt, wenn wohl oder übel das Geschäft platzt, die Armee verliert, das Schiff sinkt. Tief in dessen Holz wurzeln die Gedanken des Schiffers, ob er es einen Tag oder Jahrzehnte befehligt. Und dieser Kapitän bewahrte in sich das ernste Bild einer Szene im Morgengrauen von sieben abgewandten Gesichtern und später vom Stumpf einer Stenge mit einem weißen Ball dran, der hin und her auf die Wellen hieb, wie er tiefer und tiefer nach unten sank. Danach lag etwas Seltsames in seiner Stimme. Fest zwar, war sie tief vor Gram und von einer Art, jenseits einer Ansprache oder von Tränen.
„Halt’ ein wenig mehr südlich, Billie.“ sagte er.
„ ‚Ein wenig mehr südlich’, Sir.“ sagte der Öler im Heck.
Eine Bank in diesem Boot war einem Sattel auf einem buckelnden Bronco nicht unähnlich, andererseits wiederum ist ein Bronco kaum kleiner. Das Boot stellte sich aufs Heck und stürzte abwärts wie ein Tier. Jedesmal, wenn eine Welle aufstieg, und es mit ihr, glich es einem Pferd, das zum Sprung über einen ungeheuer hohen Zaun ansetzt. Die Art und Weise über diese Wasserwände zu kraxeln ist ein Mysterium; außerdem gab es oben auf ihnen für gewöhnlich diese Probleme im weißen Wasser, wenn die Gischt vom Kamm jeder Welle hinunterraste und zu einem neuerlichen Sprung zwang und zu einem Sprung aus der Luft. Dann, nachdem es höhnisch den Gipfel erreicht hat, gleitet, rast und spritzt es einen langen Abhang hinab und gelangt hüpfend und nickend zur nächsten Gefahr, die drohte.
Eine einzigartige Schattenseite der See liegt darin, daß man nach erfolgreicher Überwindung einer Welle entdeckt, daß dahinter eine weitere liegt; ebenso begierig legt sie es darauf an, möglichst wirkungsvoll Boote zum Kentern zu bringen. In einem Zehn-Fuß-Dinghy bekommt man eine gute Vorstellung, wie sie der durchschnittlichen Erfahrung desjenigen verschlossen bleibt, der nie in einem Dinghy auf See war, über welche Fähigkeiten das Meer in einer Reihe Wellen verfügt. Indem wieder eine schiefergraue Mauer aus Wasser heraufzog, versperrte sie den Blick der Männer im Boot auf alles Andere. Es war nicht schwer sich vorzustellen, daß gerade diese Welle die letzte Aufwallung des Ozeans sein wird, der letzte Anlauf des unerbittlichen Wassers. Es lag eine furchtbare Anmut in der Bewegung der Wellen, und vom Fauchen der Kämme abgesehen, näherten sie sich in Stille.
Im fahlen Licht müssen die Gesichter der Männer grau gewesen sein. Ihre Augen müssen seltsam geglänzt haben, als sie ständig achteraus starrten. Von einem Balkon aus betrachtet wäre das Ganze gewiß sonderbar malerisch erschienen. Aber die Männer in dem Boot hatten keine Zeit, es zu sehen, und hätten sie die Muße gehabt, so wären ihre Gedanken mit etwas Anderem beschäftigt gewesen. Die Sonne schwang sich beständig in den Himmel hinauf, und sie wußten, es war heller Tag, weil die Farbe der See von schiefergrau nach smaragdgrün überging, von bernsteinfarbenem Licht durchsträhnt, und die weißen Kämme waren wie Schnee, der fiel. Sie konnten nicht sehen, wie der Tag anbrach. Nur die Farbe der Wellen, die auf sie zu rollten, sagte ihnen, es tagt.
In zusammenhanglosen Sätzen stritten der Koch und der Korrespondent über den Unterschied zwischen einer Rettungsstation und einem Fluchtort. Der Koch hatte gesagt: „Es gibt einen Fluchtort gleich nördlich des Mosquito-Inlet-Feuers, und sobald sie uns sehen, kommen sie in ihrem Boot heraus und holen uns.“
„Sobald uns wer sieht?“ sagte der Korrespondent.
„Die Besatzung.“ sagte der Koch.
„Fluchtorte haben keine Besatzung.“ sagte der Korrespondent. „Soweit ich weiß, sind das nur Stellen, an denen Kleidung und Proviant für Schiffbrüchige aufbewahrt werden. Sie verfügen über keine Besatzungen.“
„Oh ja, tun sie doch.“ sagte der Koch.
„Nein, tun sie nicht.“ sagte der Korrespondent.
„Nun, wir sind sowieso nicht dort.“ sagte der Öler im Heck.
„Also,“ sagte der Koch, „möglicherweise ist das, was ich meine beim Mosquito-Inlet-Feuer keine Flucht-, vielleicht ist es eine Rettungsstation.“
„Noch sind wir nicht da.“ sagte der Öler von achtern.