Passagen-Passagiere - Mérimée

Prosper Mérimée: Tamango

Der Kapitän Ledoux war ein guter Seemann. Er hatte als einfacher Matrose angefangen, dann wurde er Hilfssteuermann. In der Schlacht von Trafalgar wurde ihm durch einen Holzsplitter die linke Hand zerschmettert. Er wurde amputiert und daraufhin mit einem guten Zeugnis abgedankt. Das Nichtstun paßte ihm gar nicht, und als sich die Gelegenheit ergab, sich wieder einzuschiffen, verdingte er sich in der Stellung eines Zweiten Leutnants auf einem Kaperschiff. Das Geld, welches er aus einigen Prisen bezog, ermöglichte ihm, Bücher zu kaufen und die Theorie der Nautik zu studieren, mit deren Praxis er schon ausgezeichnet vertraut war. Schließlich wurde er Kapitän eines Kaper-Loggers mit drei Kanonen und sechzig Mann Besat­zung, und die Küstenfahrer von Jersey bewahrten seine Heldentaten lange in Erinnerung. Der Frieden stimmte ihn mißmutig: Während des Krieges hatte er ein kleines Vermögen zusammengebracht, das er auf Kosten der Engländer zu mehren gehofft hatte. Gezwungenermaßen bot er seine Dienste friedliebenden Kaufleuten an, und weil er als entschlossener Mann mit Erfahrung bekannt war, vertraute man ihm ohne Umstände ein Schiff an. Weil man für den Handel mit Negern eintrat und es, um sie abzuliefern, nicht nur galt, die Wachsamkeit der französischen Zöllner zu überlisten, was nicht sehr schwierig war, sondern auch – was viel riskanter war – den englischen Kreuzern zu entwischen, war Kapitän Ledoux für die ‚Ebenholzhändler‘ genau der richtige Mann.

Ganz im Unterschied zur Mehrzahl der Matrosen, die sich lange Zeit wie er in untergeordneten Stellungen abgeplagt hatten, hatte er weder jene abgrundtiefe Furcht vor dem Neuen, noch quälte ihn der Geist der Routine, wie sie sie noch allzu oft in die höheren Dienstgrade mitschleppen. Ganz im Gegenteil war Kapitän Ledoux der Erste, der seinem Reeder den Gebrauch eiserner Tanks zum Fassen und Aufbewahren des Wassers empfahl. Bei ihm an Bord waren die Handfesseln und Ketten, mit denen die Negerschiffe ausgerüstet waren, nach einem neuen System gefertigt und sorgfältig lackiert, um sie gegen Rost zu schützen. Was ihm unter den Sklavenhändlern aber am meisten zur Ehre gereichte, war die von ihm persönlich geleitete Konstruktion einer Brigg für den Handel; ein scharfer Segler, schlank, lang wie ein Kriegsschiff und dabei in der Lage, eine große An­zahl Schwarzer aufzunehmen. Er gab ihr den Namen L’Espérance. Er wollte, daß die Zwischendecks schmal und weniger hoch waren, nicht höher als drei Fuß, vier Zoll, indem er behauptete, diese Abmessungen gestatteten den Sklaven von angemessener Größe, bequem zu sitzen – und welchen Zweck sollte es haben, sich aufzurichten? Einmal in den Kolonien, so Ledoux, stünden sie noch oft genug auf ihren Füßen!

Den Rücken gegen die Planken des Schiffs gelehnt und parallel in zwei Reihen angeordnet, ließen die Schwarzen zwischen ihren Füßen einen leeren Raum, der auf allen anderen Sklavenschiffen lediglich dem Durchgang diente. Ledoux stellte sich vor, in diese Zwischenräume andere Neger lotrecht zu Ersteren zu legen. Auf diese Weise faßte sein Schiff an die zehn Neger mehr als ein anderes Schiff gleicher Tragfähigkeit. Notfalls könnten es noch mehr sein, aber man mußte sich menschlich zeigen und einem Neger mindestens fünf Fuß in der Länge und zwei in der Breite lassen, damit er sich während einer Überfahrt von sechs Wochen und länger tummeln konnte: „Denn schließlich sind die Neger,“ wie Ledoux gegenüber seinem Reeder die liberale Maßnahme rechtfertigte, „Menschen wie die Weißen.“

Die L’Espérance verließ Nantes an einem Freitag, wie die abergläubischen Leute seither bemerkten. Die Inspektoren, welche die Brigg peinlich genau besichtigten, entdeckten keine sechs großen Kisten, gefüllt mit Ketten, Handfesseln und jene Eisen, die man, ich weiß nicht warum, Gerechtigkeitsstangen nannte. Sie zeigten sich auch nicht erstaunt über die gewaltigen Vorräte an Wasser, welche die L’Espérance mitführte, die ihren Papieren zufolge nur für den Handel mit Holz und Elfenbein nach Senegal fuhr. Die Überfahrt ist nicht weit, in der Tat, aber das Zuviel an Vorsichtsmaßnahmen kann nicht schaden, für den Fall, daß man von einer Flaute überrascht würde – was täte man da ohne Wasser?

Die L’Espérance verließ Nantes also an einem Freitag, gut getakelt und mit allem gut versehen. Vielleicht hätte Ledoux gern ein wenig stabilere Masten gehabt. Freilich, soweit er das Kommando über das Schiff hatte, gab es nichts zu klagen.

Seine Überfahrt bis zur Küste Afrikas verlief zur Zufriedenheit und schnell. Er ankerte im Joale (glaube ich), zu einer Zeit, als die englischen Kreuzer diesen Teil der Küste nicht überwachten. Die lokalen Makler kamen gleich an Bord. Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können. Tamango, ein bekannter Krieger und Menschenhändler, brachte eine große Anzahl Sklaven zur Küste, und er gab sie günstig ab, als Mann, der sich der Macht und der Mittel bewußt war, einen Ort schnell zu beliefern, sobald die Güter seines Geschäfts dort knapp wurden.

Kapitän Ledoux begab sich zum Ufer und stattete Tamango einen Besuch ab. Er traf ihn in einer Strohhütte an, die man ihm eilig errichtet hatte, in Begleitung seiner beiden Frauen und einiger Kleinhändler und Sklavenführer. Tamango war bereit, den weißen Kapitän zu treffen. Er war mit einer alten blauen Uniform bekleidet, noch mit den Tressen eines Korporals; von jeder Schulter hingen aber zwei goldene, am selben Knopf befestigte Schulterstücke, von denen eines nach vorn, ein anderes nach hinten hin und her baumelte. Weil er kein Hemd trug und die Kluft ein wenig kurz für einen Mann seiner Größe war, bemerkte man zwischen dem weißen Besatz seines Anzugs und der Unterhose aus Salampouris einen beachtlichen Streifen schwarzer Haut, der einem breiten Gürtel glich. Ein großer Kavalleriesäbel hing an seiner Seite an einem Strick, und in der Hand hielt er ein schönes zweiläufiges Gewehr englischer Fabrikation. Derart ausgerüstet meinte der afrikanische Krieger, an Eleganz den vollendetsten Geck in Paris oder London zu übertreffen.

Kapitän Ledoux betrachtete ihn eine Weile schweigend, während Tamango, der sich hoch aufrichtete, wie zur Heerschau eines ausländischen Generals, den Eindruck genoß, den er auf den Weißen zu machen glaubte. Ledoux wandte sich, nachdem er ihn mit Kennermiene begutachtet hatte, an seinen Steuermann und sagte: „Diesen Kerl da, den würde ich in Martinique gesund und unbeschädigt für mindestens tausend Écu verkaufen.“

Man setzte sich, und ein Matrose, der eine wenig Kenntnis des Wolof hatte, diente als Übersetzer. Nachdem die ersten Höflichkeitsbezeigungen ausgetauscht waren, brachte ein Schiffsjunge einen Korb mit Flaschen Branntwein. Man trank, und der Kapitän machte Tamango, um ihn bei guter Laune zu halten, ein hübsches Pulverhorn aus Kupfer zum Geschenk, das mit dem Relief Napoleons verziert war. Nachdem das Geschenk mit der angemessenen Würdigung entgegengenommen worden war, verließ man die Hütte, setzte sich in den Schatten gegenüber den Flaschen Branntwein, und Tamango gab das Zeichen, die Sklaven kommen zu lassen, die er zu verkaufen hatte.

Sie erschienen in einer langen Reihe, der Körper von Erschöpfung und Schrecken gebeugt, jeder den Hals in einer langen Gabel von mehr als sechs Fuß Länge, deren beide Spitzen zum Nacken hin von einer Holzstange zusammengehalten wurden. Setzten sie sich in Bewegung, nahm einer der Führer den Stiel der Gabel des ersten Sklaven auf seine Schulter; dieser lud sich die Gabel des Mannes auf, der ihm unmittelbar folgte; der zweite trug die Gabel des dritten Sklaven und so weiter. Galt es haltzumachen, stieß der Anführer der Reihe das spitze Ende des Gabelstiels in den Grund, und die ganze Kolonne hielt an. Man kann sich leicht vorstellen, daß an Entkommen nicht zu denken ist, wenn man an seinem Hals eine große Stange von sechs Fuß Länge trägt.

Bei jedem männlichen oder weiblichen Sklaven, der vor ihnen vorbeizog, hob der Kapitän die Schultern, fand die Männer zu mickrig, die Frauen zu alt oder zu jung und beklagte die Entartung der schwarzen Rasse.

„Alle degeneriert.“ sagte er. „Damals war das anders. Die Frauen maßen fünf Fuß, sechs Zoll, und vier Männer hätten allein das Spill gedreht, um den Rüstanker einer Fregatte zu lichten.“

Unterdessen traf er kritisch eine erste Wahl unter den kräftigsten und den schönsten Schwarzen. Für diese könne er den gewöhnlichen Preis zahlen, doch für den Rest forderte er einen beträchtlichen Nachlaß. Tamango verteidigte seinerseits seine Interessen, pries seine Ware, sprach von der Knappheit der Männer und den Gefahren des Handels. Er schloß, indem er einen Preis – ich weiß nicht, welchen – für die Sklaven verlangte, die der weiße Kapitän auf sein Schiff verladen wollte.

Sobald der Dolmetscher Tamangos Angebot ins Französische übersetzt hatte, fiel Ledoux vor Überraschung und Empörung fast hintüber. Dann erhob er sich, während er einige fürchterliche Flüche murmelte, als wollte er den Handel mit einem so unverständigen Mann abbrechen, woraufhin Tamango ihn zurückhielt. Nur mühsam erreichte er, daß jener sich wieder setzte. Eine neue Flasche wurde entkorkt, und die Diskussion begann erneut. Jetzt war es an dem Schwarzen, das Angebot des Weißen für verrückt und überzogen zu halten. Man schrie, man zankte sich lange, man trank reichlich Branntwein. Der Branntwein rief aber unter den beiden Kontrahenten recht unterschiedliche Wirkungen hervor. Je mehr der Franzose trank, um so weiter ging er mit seinem Gebot herunter; je mehr der Afrikaner trank, um so mehr ließ er von seinen Ansprüchen ab. Auf diese Weise wurden sie sich schlußendlich einig. Schlechte Baumwollstoffe, Pulver, Feuerstein, drei Faß Branntwein, fünfzig schlecht reparierte Gewehre wechselten für hundertsechzig Sklaven den Besitzer. Zur Besiegelung des Vertrags schlug der Kapitän in die Hand des mehr als halbbetrunkenen Schwarzen ein, und sogleich übergab man die Sklaven den französischen Matrosen, die sich beeilten, sie von den Holzgabeln zu befreien, um ihnen die Halseisen und eisernen Handfesseln anzulegen – als Zeichen der Überlegenheit der europäischen Kultur. Blieben noch an die dreißig Sklaven übrig: Kinder, Alte, kranke Frauen. Das Schiff war voll.

Tamango, der mit diesem Ramsch nichts anzufangen wußte, bot dem Kapitän an, sie für eine Flasche Branntwein das Stück zu verkaufen. Das Angebot war verlockend. Ledoux erinnerte sich daran, daß er während einer Aufführung der Sizilianischen Vespern in Nantes etliche dicke, fette Personen sich in ein schon volles Parkett hatte drängen sehen, die es vermöge der Komprimierbarkeit der menschlichen Leiber dennoch schafften, darin Platz zu nehmen. Er nahm die schlanksten zwanzig der dreißig Sklaven.

Nun verlangte Tamango lediglich ein Glas Branntwein für jeden der zwanzig übrigen. Ledoux bedachte, daß die Kinder in den öffentlichen Verkehrsmitteln nur die Hälfte zahlten und nur einen halben Platz einnahmen. Also nahm er drei Kinder, erklärte aber, keinen einzigen Schwarzen mehr zu übernehmen. Tamango sah, daß er noch sieben Sklaven am Hals hatte, ergriff sein Gewehr und nahm eine Frau aufs Korn, die als Erste kam: es war die Mutter der drei Kinder.

„Kauf’ sie,“ sagte er zu dem Weißen, „oder ich töte sie. Ein kleines Glas Branntwein oder ich drücke ab.“