Sara Jeanette Duncan: Als Mutter in Indien
I
Es gab Zeiten, da mußten wir auf den Pudding verzichten, um Johns Uniformrechnungen bezahlen zu können, und ich machte die facings mit einem Stoffball, um keine neuen kaufen zu müssen. Ich hätte auch sein Schwert geputzt, wenn man mich gelassen hätte. Ich liebte sein Schwert. Und ich erinnere mich, wie wir einmal unseren eigenen dogcart selbst anmalten und lackierten (und wie schick er dann aussah), um fünfzig Rupien zu sparen. Wir hatten nichts als unseren Sold – John hatte seine Kompanie, als wir heirateten, aber was ist das schon? – und das Leben bestand aus kleinen, wohlüberlegten Einschränkungen, die rückblickend amüsanter erscheinen als sie wirklich waren. Wir waren bettelarm, und das ist eine Tatsache; arm und gewissenhaft, was schlimmer war. Eine dicke fette Spinne von Geldverleiher betrat eines Tages unsere Veranda und köderte uns – wir lebten in einer Hütte, aber sie hatte eine Veranda – und John drohte, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Arm, während alle anderen genug besaßen, um auf die großzügige indische Art zu leben, das war es, was es so schwer machte. Wir waren allein in unseren kleinen schäbigen Umständen. Als wir Cecily erwarteten, gaben wir uns entzückt, wissend, daß uns der ganze Stützpunkt bemitleidete, und als Cecily dann da war, begleitet von einer Flut an Ausgaben, wahrten wir ganz hervorragend den Schein. Es war empfindlich, das arme kleine Ding, und drohte gleich mit Krämpfen, dabei wußten wir beide, es wäre nicht normal, sie nicht bedingungslos zu lieben, mehr als das Leben, sogleich und immer mehr. Und wir unternahmen wirklich alles, das Thermometer auf 102 und mit einer Krankenschwester, die uns schließlich verließ, als sie feststellte, daß ich von Allem nur sechs hatte, um den Tisch zu decken. Um die Tugenden eines Gatten zu erfahren, muß man einen armen Mann heiraten. Das Regiment war wie üblich unterbesetzt mit Offizieren. John mußte bei Tage dreimal die Woche den Appell abnehmen; trotzdem ging er mit Cecily, wenn es ein wenig abkühlte, bis zwei Uhr morgens die Veranda auf und ab. Ich lag für gewöhnlich die übrige Nacht wach und fürchtete, ein Skorpion fiele von der Decke auf sie. Nichtsdestotrotz waren wir allerbester Absicht, was Cecily betraf; wir fürchteten weniger, nicht unseren Pflichten ihr gegenüber zu genügen als den idealen Ansprüchen der Menschheit. Wir taten wirklich alles, damit es ihr an nichts fehlte. Als zu gering für den eigenen Platz in der Natur befunden zu werden, das wäre abscheulich gewesen. Wir unterhielten uns stundenlang über sie, selbst wenn Johns Dienstpferd Rotz zu bekommen drohte und ich merkte, wie seine Gedanken beständig zum Stall abschweiften. Dann sagte ich John, sie brächte etwas Neues in unser Leben – das war wirklich so! – woraufhin John sagte: „Ich weiß, was du meinst.“ und fortfuhr zu prophezeihen, daß sie uns „miteinander verbinden“ würde. Wir mußten nicht miteinander verbunden werden; dort in der Einöde eines Vorpostens in der Wüste waren wir mehr füreinander als die meisten Eheleute. Daran zu glauben schien uns aber angemessen und hoffnungsvoll, deshalb glaubten wir es. Natürlich wäre uns eine Prüfung nicht erspart geblieben, schließlich waren wir keine Ungeheuer, aber das Schicksal kam dem zuvor. Sie war gerade fünf Wochen, als uns der Arzt erklärte, wir müßten sie entweder nach Hause schaffen oder wir würden sie verlieren, und gleich am folgenden Tag lag John mit Typhus darnieder. Also schickten wir Cecily mit der Frau eines Sergeanten nach Hause, die ihre Zwillingen verloren hatte, und ich widmete mich unter Anleitung des Arztes dem Kampf um das Leben meines Mannes, ohne Eis oder ordentliches Essen oder die Annehmlichkeiten des Krankenzimmers gleich welcher Art. Ach, Fort Samila! Wo die Sonne vom Sand herauf gleißt! Wie dem auch sei, das ist jetzt lange her. Ich überließ das Kind bereitwillig Mrs. Berry und der Vorsehung und quälte mich nicht. Mein Vermögen, was die Besorgnis betraf, war, schätze ich, vollkommen ausgelastet. Mrs. Berrys Brief, in dem sie beschrieb, daß es dem Kind während der Reise zunehmend besser ging und sie wohlbehalten angekommen waren, traf, wie ich mich erinnere, an dem Tag ein, an dem John zum ersten Mal wieder einen Bissen feste Nahrung zu sich nehmen durfte. Es war ein langer Kampf gewesen. „Armes kleines Wesen.“ sagte er, als ich ihm laut vorlas; danach wurde Cecily zu einer Episode.
Sie war zu den Leuten meines Mannes gekommen; es war die beste Lösung. Wir waren froh, daß das möglich war; so viele Kinder mußten an Fremde und Mietlinge weggegeben werden. Gegenüber einem unglücklichen Kind, das in die Welt gesetzt und seinem Schicksal überlassen werden muß, erwies sich der sichere Hafen seiner Großmutter und seiner Tanten Emma und Alice gewiß als vorteilhaft. Ich hatte absolut keinen Grund zur Besorgnis, wie ich den Leuten oft erklärte, die sich fragten, ob ich ihn nicht dennoch ein wenig hätte. Ich wußte, daß nichts über die gewissenhafte Hingabe aller drei Farnham-Damen für das Kind ging. Für ihren etwas beschränkten Horizont würde sie eine neue interessante Aufgabe sein, und den geringen Zuverdienst, welchen sie ebenfalls darstellte, war eine nahezu symbolische Entschädigung für die Pflege, welche sie empfing. Sie waren ausgezeichnete Leute von jener Art, die von Metten und Vespern reden und an beiden teilnahmen. Sie halfen bei kleinen Wohltätigkeitsveranstaltungen und gaben kleine Tees und schrieben kleine Mitteilungen und machten entwürdigende Zugeständnisse an die Exzentrizitäten ihrer blaublütigen oder begüterten Bekannten. Sie waren die unauffälligen, lächelnden, phantasielos gekleideten Frauen mit kleinem festem Einkommen, wie man sie bei jeder kirchlichen Gartengesellschaft auf dem Land antrifft; ein wenig hochnäsig, ein wenig selbstgefällig, ganz und gar konventionell, jedoch abgesehen von diesen Schwächen solide, einfach und gediegen; die ihre beiden Hausangestellten unter Zurschaustellung getreuer Gepflogenheiten anleiten, mit einem diffusen und nachträglichen, wenngleich steten Blick auf die Vorgänge in ihrem Land, wie sie von einer zweiwöchentlichen Zeitschrift berichtet werden. Sie alle zeigten starkes Interesse am Königshaus und lasen einander laut Abschnitte darüber vor, wie Prinzessin Beatrice oder Prinzessin Maud einen modischen Basar eröffnet hatten, erstaunlich gut aussehend, in schlichtem grauem, mit irischer Spitze abgesetztem Popelin – ein Gewerbe, das wiederzubeleben sich die Königliche Familie, wie hinreichend bekannt, vorgenommen hatte. Woraufhin Mrs. Farnhams Kommentar stets lautete „Wie fürsorglich von ihnen, meine Liebe!“ und Alice antwortete üblicherweise „Also wenn ich eine Prinzessin wäre, ich würde etwas Hübscheres dem grauen Popelin vorziehen.“ Von Alice, weil sie die Jüngste war, wurde nicht immer erwartet, daß sie nachdachte, ehe sie sprach. Alice malte in Aquarell, aber von Emma nahm man an, daß sie die vernünftigste war.
Sie schrieben uns abwechselnd mit größter Regelmäßigkeit über Cecily. Nur einmal, glaube ich, verpaßten sie die wöchentliche Post, und das war, als sie Diphterie zu bekommen drohte, und sie meinten, uns besser in Unkenntnis zu lassen. Der freundliche, warmherzige Ton dieser Briefe änderte sich nie, abgesehen von den Begebenheiten, die sie beschrieben: das Zahnen, Kriechen, die Masern, Bäckchen, die rund und rosig wurden, alles wurde in den gleichen glatten, oberflächlichen, gebührenden Formulierungen übermittelt, so vollkommen bar jeglichen Anzeichens der Persönlichkeit des Kindes, daß es uns nach den ersten paar Monaten vorkam, als läse man in einem Buch über ein ziemlich uninteressantes Kind. Ich war mir sicher, daß nicht Cecily uninteressant war, sondern ihre Chronistinnen. Wir pflegten uns durch die langen, dünnen Seiten durchzuarbeiten und erkannten, um wieviel befriedigender es wäre, wenn Cecily uns selbst schreiben könnte. In der Zwischenzeit registrierten wir ihren wöchentlichen Fortschritt mit einer Regung, die etwa jemand einem Stück Land in der Ferne entgegenbrächte, das keine Probleme bereitet und sich überaus gut entwickelt. Wir würden Cecily, in Besitz nehmen, wie es uns genehm war. Bis es soweit sein sollte, erfreute es uns, von unserem unverdienten Zuwachs aus liebenswerten kleinen Pickeln und süßen kleinen Löckchen zu hören.
Sie war fast vier, als ich sie wiedersah. Wir waren auf einem dreimonatigen Urlaub zu Hause. John hatte sein erstes Brevet für etwas im Land der Black Mountains bekommen, worüber er nicht sprechen durfte, und wir waren furchtbar zufrieden mit uns. Ich erinnere mich, die Begeisterung hielt sicher bis Port Said an. Bis zum Kanal war Cecily das einzige an Vergnügen und Interessen, die wir zu Hause erwarteten: Johns Beförderung zum Major war es, die unserem Leben Würze verlieh. Aber beim kleinsten Anzeichen Europas erschien mein Kind am Horizont, und dort blieb es für den Rest meiner Reise, mit nach mir ausgestreckten Armen, mir zuwinkend. Ihre vier mutterlosen Jahre versetzten mir einen Stich ins Herz und trieben mir die Tränen in die Augen; das sollte ihr auf alle denkbare Weise entgolten werden. Ich erkannte plötzlich, wie bereit ich war – so sehr bereit! –, sie zurückzubekommen. Ich sträubte mich heftig gegen Johns Entscheidung, daß wir sie nicht zur Rückkehr ins Grenzgebiet mitnehmen konnten; insgeheim beschloß ich, dafür zu kämpfen und sah mich notfalls gezwungen, das Kind zu entführen – mein eigenes Kind. Meine Tage und Nächte, während das Schiff vorwärts schlich, waren mit einem langen Sehnen erfüllt es zu besitzen; in mir stieg die Zärtlichkeit, um die ich die letzten vier Jahre betrogen worden war, auf und blieb mir bisweilen im Hals stecken. Ich konnte an nichts anderes denken, über nichts sprechen, von nichts träumen. John übte Nachsicht mit mir, so gut er konnte und nur einmal ließ sein Gähnen durchblicken, daß das Thema für ihn nicht von grenzenlosem Interesse war. Dann weinte ich, und er entschuldigte sich. „Weißt du,“ sagte er, „es ist nicht ganz dasselbe. Ich bin nicht ihre Mutter.“ Woraufhin ich meine Tränen trocknete und mich stolz und beruhigt aufrichtete. Ich war ihre Mutter!
Dann der verregnete kleine Bahnhof und Alice mit weit geöffneten Armen in einem klammen Regenmantel und die Fahrt im Einspänner und Johns Mutter beim Tor und eine unumgängliche Pause, während ich Johns Mutter küßte. Die Ärmste, sie mußte einfach unsere Hände halten, um uns anzuschauen und uns zu sagen, wie wenig wir uns trotz aller Beschwerlichkeiten geändert hatten, und auf dem Weg zum Haus blieb sie tatsächlich stehen, um auf die Änderungen an den Blumenrabatten hinzuweisen. Schließlich die Tür zum Wohnzimmer, das lächelnde Hausmädchen, das den Türknauf dreht und das unvergeßliche Bild eines kleinen Mädchens; ein kleines Mädchen, so anders, als wir es uns vorgestellt hatten, das sich anschickte tapfer durchs Zimmer auf uns zu zu schreiten, mit einer kleinen Ansprache, die man es gelehrt hatte. Bis zur Mitte kam sie; ich denke, unsere Blicke waren zu sehr auf sie gerichtet, zu beschäftigt, denn sie blieb stehen, mit einem Klagelaut des Schreckens angesichts der fremden Gesichter, und sie lief schnurstracks zurück zu den ausgestreckten Armen ihrer Tante Emma. Das Natürlichste von der Welt zweifellos. Ich ging zu einem Stuhl gegenüber, mit meiner Handtasche und dem Regenschirm und setzte mich – eine reservierte, schweigende Zuschauerin. Tante Emma hätschelte und beruhigte das Kind, entschuldigte es mir gegenüber, redete ihm gut zu, es solle aufschauen, aber die kleine Gestalt schüttelte sich unter Schluchzern, das Gesicht in dem Busen verborgen, den sie kannte. Ich lächelte wie irgendeine Fremde höflich über Emmas Tadel und saß tatenlos und schaute meinem vorgeblichen Kind zu, wie es ihm beim Anblick seiner Mutter das Herz brach. Selbst jetzt ist der Ärger, den ich fühlte, nicht komisch. Ich berührte sie nicht, noch sprach ich zu ihr; ich saß lediglich da und betrachtete meine fremde Besitzung, in dem Kleid, das ich nicht gemacht, mit der Schärpe, die ich nicht ausgesucht hatte, wie ihr von ihrer Tante Emma gut zugeredet, wie sie geküßt und beschützt und liebkost wurde. Sogleich bat ich, auf mein Zimmer geführt zu werden, wo ich mich dann zwei grauenhafte Stunden einschloß. Nur einmal schlug mein Herz hoch, als ein zaghaftes Klopfen ertönte und ein zaghaftes, fügsames Stimmchen sagte, daß es Tee gäbe. Ich hörte aber das Rascheln eines Rocks und erriet Tante Emma als führenden Engel und entgegnete: „Danke, Liebes, lauf’ und sag’, daß ich komme.“ im liebenswürdigen Ton eines Gastes, den beizubehalten mir für den Rest des Nachmittags gelang.
„Sie geht um sieben ins Bett.“ sagte Emma.
„Ach, tatsächlich.“ sagte ich. „Das scheint mir ein gute Zeit.“
„Sie schläft in meinem Zimmer.“ sagte Mrs. Farnham. „Sie bekommt von uns sehr oft Hammelbouillon, aber selten Suppe von der Brühe.“ sagte Tante Emma. „Mama meint, es sei zu anregend.“
„Tatsächlich?“ äußerte ich zu allem.
Sie führten mich hinauf, um sie in ihrer Krippe zu betrachten und wiesen darauf hin, während sie schlief, daß, obwohl sie das „allgemeine Aussehen“ von mir hätte, ihre Züge entschieden die der Farnhams waren.
„Willst du sie nicht küssen?“ fragte Alice. „Du hast sie noch nicht geküßt, und sie ist Zuneigung so gewohnt.“
„Ich glaube nicht. Ich denke nicht, daß ich so von ihr Gebrauch machen sollte.“ sagte ich.
Sie schauten einander an, und Mrs. Farnham sagte, ich wäre einfach angegriffen, ich sollte nicht bis in die Puppen aufbleiben.
Hätte ich nur hinreichend Zeit gehabt, würde ich darum gekämpft haben, aber vier Wochen – sowohl die Hin- als auch die Rückreise dauerten seinerzeit vier Wochen – waren zu lächerlich wenig. Ich konnte nichts tun. Ich blieb allerdings nicht bei Mama. Es war mehr als ich mir auf die Dauer zumuten konnte, die tägliche Enttäuschung hinter der Maske einer zufriedenstellenden Entdeckung.
Ich verbrachte eine beifällig unnatürliche Woche unter meiner absurden Maske, indem ich meinen Widerwillen im Zaum hielt und meine Demütigung hinter netten Phrasen versteckte; danach ging ich hinauf in die Stadt und ertränkte mein Leid im Sommerschlußverkauf. John nahm ich mit. Theoretisch hätte ich Cecilys Mutter sein können; tatsächlich war ich Johns Ehefrau.
Wir kehrten ins Grenzgebiet zurück, und das Regiment hatte rege Dienst. Für meinen Gatten bedeutete das Orden und Spaß, aber Sparen und Angst für mich, obwohl es mir gelang, so nah wie für eine Frau möglich an die Kampfzone gelassen zu werden.
Einmal hörten die Frau des Oberst und ich, die wir uns in Fort Samila aufhielten, tatsächlich die Schüsse der Gewehre einer Strafexpedition von der anderen Seite des Flusses – das war ein schlimmer Augenblick. Mein Mann kam nach fünfzehn Stunden Gefecht zurück und schlief, während er mit Messer und Gabel vor seinem Essen saß, fest ein. Doch der Dienst stellt hohe Ansprüche nicht nur an die Nerven der Ehefrauen. Ich erinnere mich, daß wir zweitausend Rupien gespart hatten, für eine weitere Heimfahrt, und alles zerrann während der Mirzai-Expedition, so wurde aus der Heimreise ein Monat in einer Pension in den Bergen.
In der Zwischenzeit hatten wir jedoch begonnen, mit unserer Tochter zu korrespondieren, in großen geschwungenen einsilbigen Wörtern, hinter denen natürlich unübersehbar Tante Emma die Hand führte. Man konnte hören, wie Tante Emma vorschlug, was man Nettes sagen könnte, um zu versuchen, ein wenig fahle Zuneigung für die fernen Papa und Mama einfließen zu lassen. Darin fand sich so wenig Cecily und so viel Emma – wie konnte es anders sein –, daß ich mich an diesen Briefen, wie ich fürchte, nur oberflächlich erfreuen konnte. Als wir wieder zu Hause waren, bestand ich nachdrücklich darauf, daß sie uns ohne irgendeine Aufsicht schrieb – das Kind war zehn.
„Aber die Rechtschreibung!“ rief Tante Emma mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ihre Briefe sind keine Übungsaufgaben.“ fühlte ich mich bemüßigt festzustellen. „Sie wird ihr Bestes tun.“
Wir fanden sie ein fügsames kleines Mädchen, mit nettem Betragen, ein ganz und gar tadelloses Kind. Mir war klar, daß ich sie nicht so gut hätte erziehen können; in der Tat gab es Augenblicke, da es mir ein wenig vorkam, als fragte sich Cecily, wenn sie mich mit ihren Tanten verglich, wie meine Erziehung ausgefallen wäre. Mit dieser kritischen Reserviertheit von ihrer Seite kamen wir jedoch einigermaßen zurecht, vor allem, weil ich es unmöglich fand, ihr gegenüber jegliche Verantwortung zu übernehmen, und in Augenblicken des Zweifels oder der Zucht verwies ich sie an ihre Tanten. Wir verbrachten einen angenehmen Sommer mit einem kleinen Mädchen im Haus, dessen Aufmerksamkeit uns gegenüber vergnüglich und dessen Ausflüge zu organisieren, erfreuend war. Doch als wir zurückfuhren, hatte ich gar kein Bedürfnis, sie mitzunehmen. Ich hielt es für viel besser, sie blieb, wo sie war.
Dann kam die Zeit, die lediglich in zweiter Linie mit Cecilys Briefen ausgefüllt ist. Ich möchte nicht mehr beanspruchen, als ich sollte; ihnen galt nicht das einzige, nicht mal mein oberstes Interesse im Leben. Es war eine lange Phase; sie hielt an, bis sie einundzwanzig war. John war in der Zwischenzeit befördert worden, und es gab deutlich mehr Geld, doch hatte er sich sein zweites Brevet mit einer Kugel durch eine Lunge verdient, und die Ärzte verordneten uns, den Urlaub in Südafrika zu verbringen. Wir besaßen Fotos, wir wußten, daß sie groß und athletisch und hübsch geworden war, und die Briefe waren immer sehr achtbar. Ich hatte den ungewöhnlichen und berechtigten Vorzug, der Entwicklung meiner Tochter zwischen zehn und einundzwanzig aus einer Entfernung von viertausend Meilen anhand des geschriebenen Worts zusehen zu können. Ich schrieb meinerseits so herausfordernd wie möglich. Ich versuchte es in allen Tonlagen, aber die Schwingung, die übers Meer zu mir zurückkam, war immer eine andere als die, welche ich erwartet hatte, und manchmal kam überhaupt keine. Nichtsdestoweniger schrieb mir Mrs. Farnham, daß Cecily meine Mitteilsamkeit überaus schätze. Einmal, als ich einen Ausflug in einen einheimischen Staat beschrieben hatte, erfuhr ich, daß sie meinen Brief im Nähzirkel laut vorgelesen hatte. Danach ließ ich die Schilderungen und beschränkte mich auf solch persönliche Details, wie sie kein Nähzirkel unterhaltsam fände. Die eigenen Briefe des Kindes waren lediglich ein Spiegel der Vorstellungen der Farnhams. Das muß, es kann nicht allein meinem eifersüchtigen Blick geschuldet gewesen sein. Alice und Emma und Großmutter stolzierten abwechselnd durch die Seiten. Sehr früh gab ich die Hoffnungen auf Entdeckungen in meiner Tochter auf, obwohl, was ich an ihr als originell entdecken konnte, war leidlich einfach und handfest. Gewiß fand ich Kleinigkeiten zu kritisieren, Neigungen zu korrigieren, und über die Rückpost kritisierte und korrigierte ich, aber die Entfernung und der Bedacht schienen meine Maximen mit so etwas wie trockener Nichtigkeit zu versehen, und bisweilen zerriß ich sie. Eine einzige flotte warmblütige Schelte wäre ein ganzes Bündel von ihnen wert gewesen. Meine durchdachten kleinen Formulierungen konnten sie nur mit einer Abneigung gegen mich impfen, ohne sie gegen irgendetwas unter der Sonne zu schützen.
Ich stellte jedoch fest, daß sie mich nicht ablehnte, als John und ich schließlich heimfuhren, um sie mit herüber zu bringen. Mag sein, sie nahm mich nur mit einem Anflug an Liebenswürdigkeit, aber insgesamt sehr gut auf.